Sterben nach Darwin
Die Moralwächter der Nation haben ein Thema entdeckt, welches einer ernsthaften Diskussion bedarf, obgleich jede Abweichung vom konservativen Moralkonsens einen Schrei der Empörung nach sich zieht; es geht um Sterbehilfe. Oder wie Michel Friedman im „Klartext“ auf N24 sagte: Es bedarf einer Diskussion um menschenwürdiges Leben und menschenwürdiges Sterben.
Böse Zungen könnten nun behaupten es sei gut, dass dieses Thema einmal auf den Tisch kommt. Der demografische Wandel vollzieht sich seit langer Zeit, so dass die Überalterung der Gesellschaft sogar schon offen als „soziales Problem“ bezeichnet wird. (Quelle). Was liegt da näher als das „sozialverträgliche Frühableben“ wieder etwas mehr in Mittelpunkt der Tagespolitik zu stellen? Oder wir halten uns an die Österreicher (um Quellen einmal angemessen zu missbrauchen) und erkennen, dass nur mit „innovativen Ansätzen […] das Problem der Überalterung gelöst werden“ kann (Quelle).
Mit der Frage, wie weit man mit innovativen Ideen gehen darf, muss sich nun ernsthaft auseinander gesetzt werden. Schließlich möchte niemand allen Ernstes Zustände, in denen die Kinder einer Tages vor der Haustür ihrer potentiell als Pflegefall einzustufenden Eltern stehen und ein Päckchen Tabletten vorbeibringen, auf dass man sich das neue Familienauto auch leisten kann.
Aber wo ist die Grenze zu ziehen? Wer sich selbst töten will und dies auch tatsächlich schafft soll weiterhin straffrei bleiben. Dies ist der rechtliche wie auch moralische Trivialfall und auch ein gutes Beispiel der ansonsten weitgehend vernachlässigten darwinistischen Leistungsgesellschaft: Nur die Harten kommen in den Garten!
Bisher Glück hatten diejenigen, die zwar sterben wollten, aber nicht wussten wie. Ihnen konnte geholfen werden (darum schließlich auch die derzeitige Diskussion). Schlimm traf es bisher diejenigen, die zwar wollten aber nicht konnten: Menschen, die aufgrund von Krankheit, Altersschwäche oder Verletzungen körperlich schlichtweg nicht in der Lage mehr waren, ihrem Leben selbst ein Ende zu bereiten, obgleich dies ihrem Verständnis von menschenwürdigem Sterben entsprochen hätte. In diesem Fall ist allerdings jedwede Unterstützung eine aktive Sterbehilfe und somit in Deutschland verboten.
Mit dem Tod soll kein Geschäft gemacht werden, weshalb organisierte bzw. gewerbliche Sterbehilfe unter Strafe zu stellen ist. So die Forderungen. Doch in diesem Zusammenhang wurden in den letzten Tagen teils zwei vollkommen verschiedene Thematiken in einen Topf geworfen: Es geht nicht um Patientenverfügungen, die den Tod von Menschen in bzw. nach Situationen bedeuten, in denen sie ihren Willen nicht mehr mitteilen können. In dieser Diskussion geht es einzig um die Unterstützung von Menschen, die ihren Wunsch zu sterben frei formuliert haben, diesen aufgrund ihres körperlichen Zustandes jedoch nicht ohne Hilfe umsetzen können. Kann sich Menschenwürde und Gesetz hier tatsächlich nicht vereinbaren lassen? Wie viel Bürokratie müsste nötig sein, damit ein Vorgang offiziell begangen werden darf, der (ohne Hilfe von außen) keiner Diskussion – weder moralisch noch rechtlich – würdig wäre? In so einem Umfeld kann man nur hoffen, dass man persönlich niemals ein eine vergleichbare Situation gerät: Weder sich der widerrechtlichen Verantwortung verpflichtet fühlend dem Wunsch eines Menschen nach einer letzten Unterstützung gerecht zu werden, noch diese von einem anderen Menschen verlangen zu müssen.